Die Erinnerung
nicht leugnen

Gedänkstätte Isenschnibbe

„Nicht die Erinnerung an die Vergangenheit ist eine Last. Zur Last wird sie, wenn wir sie leugnen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Orte wie diesen haben, Orte des Erinnerns“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im September 2020 bei der Eröffnung des Dokumentations- und Besucherzentrum der Gedenkstätte Isenschnibbe. Gardelegen stehe für viele kleine Städte in Deutschland, in denen Verbrechen geschehen sind.


Der Krieg war verloren, aber noch nicht vorbei. Auf ihrem Vorstoß zur Elbe erreichten die amerikanischen Truppen von Süden her die Altmark. Am 12. April 1945 zogen sie in Tangerhütte und Tangermünde ein. Aus dem Westen rückte die 102. US-Infanteriedivision vor. Der Raum Gardelegen war eingekesselt. Von den Bahnhöfen Letztlingen und Mieste aus zogen Häftlingskolonnen durch das Gebiet. Sie kamen aus Konzentrationslagern im Harz und sollten mit der Eisenbahn nach Osten transportiert werden. Fliegerangriffe stoppten die Züge. Hunderte überlebten die Todesmärsche nicht. Die Wachmannschaften erschossen jeden, der die Strapazen nicht mehr durchhielt.

Erbahmungslos wurden Flüchtende gejagt. Auch Wehrmachtsangehörige und Zivilisten halfen dabei mit. Vorläufiges Ziel der Märsche, die Kaserne der Remonteschule in Gardelegen. Nur Stunden vor dem Eintreffen der Amerikaner befahl NSDAP-Kreisleiter Gerhard Thiele die Liquidierung der Gefangenen. SS-Wachmannschaften, Wehrmachtsangehörige und Häftlinge, denen die Freiheit versprochen wurde, trieben die Wehrlosen am Abend des 13. April in die nahe gelegene Feldscheune Isenschnibbe.

Der Pole Stanislaw Waleszynski erinnert sich: „Ich vermutete, dass uns etwas Schlimmes erwartet, doch meine Mithäftlinge reagierten scharf auf meinen Pessimismus. Ich betete, als wir vor dem großen Gebäude, das wie eine Flugzeughalle oder eine Scheune aussah, hielten. Die Scheune war kniehoch mit Stroh gefüllt. Ich spürte Benzingeruch, doch ich tröstete mich, dass sie früher wohl als Treibstofflager dienen musste.“

Unter Schlägen und Schüssen wurden die Häftlinge hinein getrieben und drei der vier Tore verbarrikadiert. Dann entzündete ein SS-Mann das mit Benzin getränkte Stroh. „Wir sprangen alle auf. Durch die geöffnete Tür wurde nun ununterbrochen auf uns geschossen. … Vor der Tür und auf der Schwelle bildete sich ein Hindernis von Körpern der Toten und Verwundeten“. Mit Maschinengewehren, Handgranaten und Panzerfäusten verrichten die Wachmannschaften ihren mörderischen Auftrag. Stanislaw Waleszynski überlebt als einer von wenigen. 1016 Belgier, Franzosen, Tschechen, Italiener, Jugoslawen, Mexikaner, Ungarn, Polen und Menschen aus der Sowjetunion fanden den Tod.

Am Vormittag des 14. April begannen Volkssturmeinheiten eilig, die Opfer zu verscharren. Nachmittags rückten die Amerikaner in Gardelegen ein. Soldaten der 102. Infanterie Division unter Generalmajor Frank A. Keting entdeckten das Massengrab. Sie zwangen Männer des Ortes, die Toten in Einzelgräber umzubetten.

Das Massaker von Gardelegen, war unbestritten eine der letzten Gräueltaten der Nazidiktatur. Doch die Frage, wer welche persönliche Verantwortung trägt, wühlt noch immer die Gemüter auf. Zu DDR-Zeiten diente die Mahn- und Gedenkstätte Isenschnibbe als Symbol für den antifaschistischen Staat. Die Schuldfrage schien klar. Auf der einen Seite die Faschisten, auf der anderen die Opfer. Nach der Wende werden auch andere Meinungen laut. 2005 erstattete der Gardelegener Historiker Herbert Becker Strafanzeige wegen Mordes gegen ehemalige KZ-Häftlinge, die sich seiner Meinung nach als Mittäter schuldig gemacht hätten. Die Staatsanwaltschaft Stendal stellte das Ermittlungsverfahren 2007 ein. Ein Jahr später leugnete Heinrich Schotte, Kreisvorsitzender des Volksbundes, in einer Rede die Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen an dem Massaker. Nach heftiger öffentlicher Empörung trat er zurück.


Quellen:

Diana Gring „Die Todesmärsche und das Massaker von Gardelegen“

Joachim Neander „Gardelegen 1945“

Jürgen M. Kalmbach, M. Pietsch“ Zwischen Vergessen und Erinnerung“

Gedenkstätte Feldscheune
Isenschnibbe Gardelegen

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